Verschiebt KI unseren Geschmack? Zwischen Frankfurter grüner Soße und neuen Traditionen.

“Nur KI als Hook reicht nicht, um ein langfristig tragfähiges Gastronomiekonzept zu bauen.“, sagt James Ardinast. Trotzdem kann künstliche Intelligenz in der Gastronomie stark unterstützen. Sie wird ihm aber nicht den Job streitig machen, oder?

Can aus dem Innovation Lab hat mit James Ardinast – einer der FAZ Köpfe des Jahres 2026 und Mitgründer der IMA Clique – über das Verhältnis von Gastronomie und KI geredet. Anstoß des Gesprächs war the byte, das erste KI-basierte Pop-up Restaurant Deutschlands, das Ardinast mit den KI-Consultants von statworx und Jonathan Speier ins Leben gerufen hat.

Can: Wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen, ein KI-Dinner zu machen – und was war eure ursprüngliche Motivation dahinter?

James: Die erste Idee ist im Kontext unseres Festivals entstanden. 2021 haben wir das S.O.U.P.-Festival zum ersten Mal gemacht, 2023 dann zum zweiten Mal, und bei der zweiten Ausgabe hatten wir eine Agentur (statworx, Anm. d. Red.) dabei, die im AI-Bereich arbeitet. Die sollten eigentlich nur Vorträge zu AI und Stadtentwicklung halten, dadurch waren wir überhaupt erstmal näher an dem Thema dran.
Dann kam Ende 2022 plötzlich dieser Hype um ChatGPT. Auf einmal haben alle darüber gesprochen, viele hatten Angst um ihre Jobs und fragten sich, wohin das alles führt. Wir haben uns gedacht: Es wäre doch spannend, ein KI-Dinner zu machen – ohne genau zu wissen, was das eigentlich sein soll. Die anfängliche Motivation war, KI greifbar zu machen: für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch für unsere Gäste – Interesse wecken, Berührungsängste nehmen.

Hattet ihr selbst nie Angst davor, dass KI euren Job in der Gastronomie „wegnehmen“ könnte?

Nein, Angst hatte ich persönlich nie. Ich liebe Zukunft, Trends und Zukunftsforschung, deshalb fand ich das eher faszinierend als bedrohlich. Ich konnte mir damals schon nicht vorstellen – und kann es bis heute nicht – dass KI mir meinen Job streitig macht.
Natürlich wirkt das Thema riesig, und von außen klang „KI-Pop-Up-Restaurant“ super groß. Aber am Ende des Tages haben wir „nur“ gelernt, die richtigen Prompts zu schreiben, um Rezepte und Ideen zu generieren. Der menschliche Teil – Geschmack, Kreativität, Umsetzung, Gastkontakt – bleibt dabei zentral.

„Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, dass mir KI meinen Job in der Gastro streitig macht.“

Was hat die KI beim Dinner konkret gemacht – wie sah der Prozess rund um Menü und Geschmack aus?

Wir haben ChatGPT Rezepte entwickeln lassen, zum Beispiel mit der Aufgabe: Nimm die traditionelle Frankfurter Küche und verbinde sie mit den ethnischen Einflüssen der heutigen Frankfurter Bevölkerung – mach daraus eine Art Fusionküche.
Entstanden ist unter anderem eine eigene „grüne Soße“. Allerdings nicht mit den klassischen sieben Kräutern aus der Region, sondern mit sehr exotischen Kräutern. Das Überraschende: Es hat geschmeckt – richtig gut. Wir haben alle Gerichte vorher gekocht und probiert; gefühlt waren etwa 80 Prozent „on point“, bei rund 20 Prozent haben wir nachjustiert. Für eine Maschine ohne Tastebuds ist das enorm.

Wie haben die Gäste das KI-Dinner erlebt – und was habt ihr aus deren Reaktionen gelernt?

Geschmeckt hat es durchweg sehr gut, aber die Erwartungshaltung war eine andere. Viele hatten sich unter „KI-Dinner“ ein immersives Tech-Spektakel vorgestellt: LED-Wände, fahrende Stühle, total futuristische Räume – so eine sehr technoide Erlebniswelt.
Stattdessen haben sie gemerkt: KI ist etwas, das im Hintergrund läuft, kein Wesen, das da sitzt. Wir hatten KI-entwickelte Rezepte, KI-generierte Kunst und Musik und eine „Stimme“, die durchs Erlebnis geführt hat. Für uns hat sich das alles nett und eher kleiner angefühlt, als es dann in der Presse verkauft wurde. Das Learning: Nur „KI“ als Hook reicht nicht, um ein langfristig tragfähiges Gastronomiekonzept zu bauen.

Wie verbreitet ist künstliche Intelligenz denn aus deiner Sicht heute schon in der Gastronomie – arbeitet jeder mit ChatGPT?

Definitiv nicht. Gerade inhabergeführte Individualgastronomie tut sich sehr schwer mit Digitalisierung und KI. Auf Veranstaltungen sieht man noch Paneldiskussionen, bei denen es darum geht, ob KI überhaupt sinnvoll ist – da denkt man sich: Wir sind doch längst weiter.
Auf der anderen Seite haben wir alle Smartphones und nutzen KI längst im Alltag, oft ohne es zu merken. Bewusst mit Tools wie ChatGPT arbeiten vor allem progressive Betriebe. Dort, wo Menschen ohnehin viel am Rechner sitzen – wie in unserer Agentur – ist der Einsatz inzwischen Standard. In der Küche dagegen herrscht noch eine sehr klassische Arbeitsweise.

Gefühlt waren 80 Prozent der KI-Rezepte direkt ‚on point‘ – und das von einem System, das keinen einzigen Geschmackssinn hat.

Was habt ihr als Unternehmen ganz konkret durch die Arbeit mit KI gelernt – in der Agentur und in der Gastro?

Das größte Learning ist: KI macht Arbeit sehr viel effizienter. Wir kommen deutlich schneller ans Ziel, vor allem in der Konzeptions- und Recherchephase. Früher hätte man für bestimmte Rezeptideen oder kulinarische Richtungen tagelang recherchiert; heute habe ich mit wenigen Prompts eine solide Basis, auf der ich weiter kreativ arbeiten kann.
Unsere Köch:innen arbeiten nicht alle direkt mit KI, aber sobald es darum geht, kulinarische Ausrichtungen oder Menüideen zu denken, ist sie ein enormer Sparringspartner. Sie ersetzt nicht das Abschmecken oder die Erfahrung, aber sie beschleunigt die Strecke von der vagen Idee zum ersten testbaren Konzept.

Wird KI deiner Meinung nach selbst zum Tastemaker – kann sie unsere Geschmäcker und Traditionen verändern?

Ein Stück weit ja, vor allem bei jüngeren Menschen, die vielleicht eher mit KI als mit Kochbüchern starten. KI kann Geschmackswelten kombinieren, die wir so noch nicht kennen, weil sie ständig Inhalte zusammenführt, die im Netz existieren. Gleichzeitig lernt sie aus der Vergangenheit; sie ist immer nur so gut wie das, womit wir sie füttern.
Gefahr sehe ich weniger für „die Tradition an sich“, sondern darin, wie Menschen KI einsetzen – gerade, wenn es um Informationen geht. Im Food-Bereich bin ich sehr offen für neue Traditionen. Nur weil etwas heute Tradition ist, heißt das nicht, dass wir nicht heute etwas schaffen können, was in hundert Jahren Tradition sein wird. KI kann hier Prozesse beschleunigen und Alt und Neu in einer neuen Balance zusammenbringen.

Wie unterscheiden sich der Einsatz und die Offenheit für KI in eurer Agentur und in euren Restaurants?

In der Agentur sitzen die Leute fast den ganzen Tag am Rechner, dort ist die Affinität für Tools wie ChatGPT viel höher und es wird ganz selbstverständlich damit gearbeitet. Im Restaurantbetrieb stehen die Teams eher „an der Front“, also im operativen Geschäft, ohne dauerhaft vor Bildschirmen zu sitzen. Die Küche ist grundsätzlich ein sehr klassisch geprägter Bereich, der sich mit neuen Prozessen und Digitalisierung traditionell schwerer tut. Man merkt deutlich: Im Büro arbeitet praktisch jede:r mit KI, in der Gastronomie ist das noch eher die Ausnahme.

„Das heißt nicht, dass wir nicht heute etwas starten können, das in hundert Jahren Tradition sein wird – dabei kann KI helfen.“

Kann KI für kleine, inhabergeführte Restaurants so etwas wie eine eigene Agentur ersetzen?

Absolut. Viele kleinere Betriebe können sich keine externe Agentur leisten. KI kann hier ein Stück weit die Rolle einer Agentur übernehmen: als Sparringspartner für Ideen, als Hilfe beim Strukturieren von Gedanken, beim Formulieren von Texten oder beim Entwickeln von Kampagnen und Social-Media-Posts.
Man gibt der KI ein klares Briefing – Ziel, Rahmen, Zielgruppe – und bekommt Vorschläge, die man dann nach eigenem Geschmack filtert und weiterentwickelt. So wird KI zu einer Art „kleiner Inhouse-Agentur“, mit der man arbeiten kann, ohne Angst haben zu müssen, ersetzt zu werden.

Was können Produktentwickler:innen aus eurer KI-Arbeit in der Küche mitnehmen – etwa wenn sie neue Produkte für den Supermarkt entwickeln wollen?

KI eignet sich hervorragend als kreativer Sparringspartner und „Trend-Scanner“. Beim Entwickeln von Produkten geht es ja immer darum, Bedürfnisse zu treffen und bestimmte Rahmenbedingungen zu erfüllen. Da kann KI helfen, diese Rahmenbedingungen zu sortieren und innerhalb dieser Grenzen Ideen zu generieren.
Sie ersetzt nicht das eigene Trendgespür oder Erfahrung – gerade wenn man schon an erfolgreichen, trendigen Produkten gearbeitet hat. Aber alle Trends, die es gibt, sind irgendwo im Netz sichtbar; KI kann das bündeln. Wenn man selbst ein gutes Gefühl für Märkte hat, kann man sehr gut einschätzen, was KI vorschlägt und worauf es sich lohnt, aufzubauen. So entsteht ein schneller ein relevanter, testbarer Produktansatz.

Wir bedanken uns fürs Interview und veranstalten eventuell selbst demnächst mal ein KI-Dinner…

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