Was ist ein wirklich nachhaltiges Ernährungs-System?

Genau solche komplexe Fragen beschäftigten Friederike Gaedke in Ihrem einzigartigen Studium in Italien. Um der Antwort näher zu kommen, leitet sie nun Die Gemeinschaft, ein „Netzwerk von handwerklich arbeitenden Lebensmittelproduzent:innen und Gastronom:innen, die sich ihrer gemeinsamen Verantwortung auf dem Teller bewusst sind“.

Die Gemeinschaft, Friederike Gaedke
Friederike Gaedke bei der Auftaktveranstaltung des Symposiums 2021 (Fotocredit: Dinah Hoffmann)

„Wie machen wir es uns leichter gute Produkte zu bekommen?“ Eine Frage, vor die sich jedes halbwegs ambitionierte Restaurant stellt und bis 2017 auch noch die Macher hinter den Berliner Top-Restaurants Nobelhart & Schmutzig und Horváth. Dann gründeten sie das Netzwerk, Die Gemeinschaft e.V. „Es gab zu wenig Wissensangebot in der Branche und in den Koch- und Backausbildungen über die Herkunft und Vielfalt guter Produkte“ sagt Friederike Gaedke, offiziell Executive Director seit 2018. Das oberste Ziel hinter Ihrer Arbeit sind „interdisziplinärer Wissenstransfer und eine Stärkung des Netzwerks“. Das bedeutet unter anderem, dass sie „versuchen auch zum Beispiel Landwirten zu zeigen, wie sie ihre Geschichten erzählen können. Das sind auch wichtige Werkzeuge heute. Gerade weil die Industrie einen größeren Hebel hat.“

Die nächste große Aktivistin

Die Organisation, die jährlich die World’s 50 Best Restaurants kürt, hat Friederike Gaedke letztes Jahr in die 50 Next Liste unter der Kategorie „Trailblazing Activist“ aufgenommen. Während unserem Interview haben wir schnell gemerkt, dass sie überzeugt davon ist, was im Manifest der Gemeinschaft steht: „Was wir essen, hat direkten Einfluss darauf, wie unsere Welt genutzt wird.“

Gutes Essen hat – in Deutschland – leider den Ruf elitär zu sein. Slow Food ist gleich in mehreren Aspekten das Gegenteil von Fast Food, auch was den Preis angeht, fürchtet manch ein Verbraucher. Aber mehr und mehr Menschen wollen „bio“ einkaufen, oder? „Die Bio-Szene in Deutschland ist zwar groß und vielleicht auch größer als in anderen Ländern, aber macht immer noch einen ganz kleinen Anteil aus. Die Szene, die sich um gutes Essen kümmert hat immer potential und muss größer werden und mehr Leute ansprechen. Wir dürfen nicht in so eine elitäre Schublade rutschen wie in den USA, wo im Whole-Foods einfach nur reiche Leute einkaufen. Die USA sind für mich immer ein Gradmesser dafür, wie es bei uns auf jeden Fall nicht werden darf.
Die Slow Food Bewegung an sich ist ja nicht elitär. Aber da gute Produkte einfach teurer sind, spricht man automatisch wohlhabendere Menschen an. Konventionelle Produkte sind aber auch zu günstig, weil große Unternehmen nicht den Preis zahlen, den die Herstellung wirklich kostet. Da ist viel politische Arbeit zu tun über einen sehr langen Zeitraum. Es wird oft die Verantwortung auf die Landwirte geschoben. Die sind nicht der „Bad-Guy“, wenn sie das verlangen was sie brauchen um ihre Familien zu ernähren. Ich finde es ganz gefährlich denen dann zu sagen, sie seien elitär und machen zu teures essen.“

„Lebensmittel sind ein geiler Weg um Probleme anzusprechen.“

Auf die Frage, wer denn das „Anti-Amerika“ sei, meint sie das sei schwer zu sagen. „Gerade in der Lebensmittelbranche gibt es nicht eine Lösung für alle. Klar ist es cool, dass man es in Dänemark geschafft hat, ganz viele regionale Produkte in die Supermärkte zu bringen (was hier noch eher auf Märkten zu finden ist). In der Schweiz ist die Logistik recht gut und die Leute kaufen auch mehr auf Märkten ein, aber es ist halt auch viel kleinteiliger als in den USA. Und das ist genau der Punkt: Nur weil etwas woanders funktioniert, muss das bei uns nicht genauso gut sein, weil die Bedarfe und Voraussetzungen ganz andere sind.“ Dieses Thema wiederholt sich in unserem Gespräch mit Friederike.

Themen auf den Tisch bringen

Sie glaubt nicht an eine Lösung für die ganze Welt oder ganz Europa, sondern denkt eher in Systemen. Das mag von ihrem Studium an der Universität der Gastronomischen Wissenschaften im Piemont kommen oder von der Arbeit in der Gemeinschaft. Das ist zwar ein Netzwerk, das nicht nur lokal in Berlin agiert und sicher ein nationaler Vorreiter ist, aber sich selbst auch nicht unbedingt als Gastro-Sparringspartner für die Politik betrachtet. Probleme werden an der Wurzel angepackt. „Da wo Menschen tagtäglich essen, da müssen diese Themen – wortwörtlich – auf den Tisch gebracht werden. Da erwähne ich gern die Kantine Zukunft. Oder die Sarah Wiener Stiftung. Es kann mega befriedigend sein, nicht nur in Fine-Dining-Restaurants zu arbeiten, sondern auch in Kantinen, Krankenhäusern die viele Leute ernähren. Da hat man Einfluss auf das Wohlbefinden und die Gesundheit vieler Menschen, da kann man einen echten Unterschied machen.“

Bilder oben von der Symposiumsveranstaltung 2021 zum Thema „Boden“, Fotocredit: Carla Ulrich

Gaedke weiß aber auch, dass „die Branche (Restaurants, Landwirtschaft) durch die Arbeitsbedingungen völlig unattraktiv ist für junge Leute, obwohl viele Bock drauf haben. Und beim Service ist das noch schlimmer als in der Küche, denn da gibt noch weniger Medienaufmerksamkeit. Es gibt kein „Service Table“ bei Netflix. Also hier müssen wir als Branche jetzt viel tun, um unser Handwerk zu erhalten. Hier sehe ich großes Potential.“

Nur die Sexbranche ist so universell

Verständnis für die Vielfalt der Berufe in und um die Gastronomie herum, ist also eine große Baustelle für die Gemeinschaft. Eine andere aber leider auch noch das Thema Esskultur und Qualitätsverständnis. Dazu sagt sie: „Wir haben leider eine sehr geringe Wertschätzung von Essen in Deutschland. Aber ich finde es schön zu sehen, dass andere Länder (Skandinavien) es geschafft haben, es innerhalb von kürzester Zeit zu ändern. Also das scheint machbar zu sein. Und Lebensmittel sind ein geiler Weg, um solche Probleme anzusprechen und zu ändern. Von Landwirtschaft und Klima bis hin zu sozialen und gesellschaftlichen Themen anzusprechen und aufzudecken, alles über das Medium Genuss. Nur die Sexbranche ist so universell und verbindet die Menschen über reich und arm hinweg.“

„Im Fleischkonsum ist mehr Qualitätsverständnis eingezogen in den letzten Jahren. Fermentation ist auch mega beliebt und viele junge Leute wissen auch schon einiges. Das könnte daran liegen, dass es viele Pioniere gab, die das Thema sexy gemacht haben. „Das muss bei mehr Produkten passieren. Beispiel Zucker: Keiner hinterfragt, wo der herkommt oder wie der angebaut wird. Er ist aber ein essentieller Teil unserer Ernährung.“ Teilweise blitzt ihre Affinität zum Pädagogischen durch. Die Gemeinschaft veranstaltet seitdem Gaedke dabei ist ein Symposium, um genau das möglich zu machen, einen Wissensaustausch von allen Akteuren im Ernährungssystem. Daher darf jeder teilnehmen.

„Du steckst was in den Mund und nimmst es in dich auf. Ich finde es nicht zu viel verlangt, wenn man sich damit auseinandersetzt“.

Da sie Ernährungssysteme studiert hat, fragten wir sie zuletzt, wie ein ideales Ernährungssystem aussieht. „Es ist divers, nachhaltig, regenerativ in der Landwirtschaft. Mensch, Tier und Pflanzen kommen dabei so gut weg, dass sie eventuell nach der Nutzung sogar besser dastehen. Aber das ist eine krasse Utopie. Manchmal bin ich demotiviert, wenn ich merke, dass wir teilweise noch über die gleichen Dinge reden wie vor 10 Jahren. Aber es ist halt super komplex und man kämpft gegen riesige Windmühlen. Das sind die Lebensmittelindustrie und die – langsame –Politik, die damit zusammenhängt. Die großen Konzerne müssen lernen auch die externalisierten Kosten mit reinzurechnen. Also nicht nur die Klimakosten, sondern zum Beispiel auch alle Menschen fair bezahlen, inklusive den Zulieferern. Wir haben alle Antworten für ökologische Sustainability. Wir wissen was wir machen müssen, aber müssen auch alle dabei mitnehmen.“

Bilder oben von der Symposiumsveranstaltung 2021 zum Thema „Hülsenfrüchte“, Fotocredit: Carla Ulrich