Quallen for Future: Interview mit Dr. Holger Kühnhold

Ein Gespräch mit Dr. Holger Kühnhold vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. Holger Kühnhold züchtet und erforscht im ZMT Mangroven-Quallen und sieht darin großes Potential für die zukünftige Ernährung der Menschheit.

Quallen
Quallen haben eine erstaunliche Ähnlichkeit zu SCOBYs

Wenn es um die Ernährung der Zukunft geht, ist unser Interesse geweckt. Wir wollten genauer wissen was es mit Quallen auf sich hat – lest selbst, warum wir Quallen essen sollten.

Quallen kündigen sich als „next big thing“ an. Nach Soja, Insekten, Algen oder Pilzen nun Quallen?

Ich würde sagen, die Mischung machts. In Anbetracht einer wachsenden Weltbevölkerung einerseits und sich verschärfender Ressourcenverknappung und Umweltprobleme andererseits stellt die globale Nahrungsmittelversorgung eine der entscheidenden Herausforderungen unserer Zeit dar. Um in Zukunft genügend gesunde und bezahlbare Lebensmittel bereitstellen zu können, wird die Diversifizierung unseres Nahrungsangebots immer wichtiger werden. Dabei geht es sowohl um die Erweiterung des Spektrums von Ressourcen, welche wir als Nahrungsmittel akzeptieren, als auch um neuartige Produktionssysteme. Zur Zeit bin ich Teil des Leibniz-Forschungskonsortiums „Food4Future (F4F)-Nahrung der Zukunft“ in dem wir unter anderem die Zucht von marinen Organismen (Quallen, Algen und Halophyten) in neuartigen, land-basierten/urbanen Aquakultursystemen erforschen und testen. In der Gewinnung von Nahrung aus Salzwasserorganismen liegt ein unglaublich großes Potential, da hierbei keine oder nur sehr wenig Konkurrenz zu Agrar-Ressourcen (wie fruchtbarem Land und Trinkwasser) entsteht. Allerdings nutzen wir bisher bevorzugt große Raubfische (z.B. Thunfisch und Lachs) als Nahrung aus dem Meer. Diese Nutzungsstrategie führt aber bei der Fischerei zu massiver Überfischung und bei der Aquakultur zu dem nicht nachhaltigen Einsatz von Fischmehl als Fischfutter. Viel effizienter und nachhaltiger wäre es, wenn wir uns häufiger von den Meeresressourcen am unteren Ende der Nahrungskette ernähren würden. Allerdings eignet sich für den Menschen ein Großteil der marinen Primärproduzenten nicht direkt als Nahrung. Wir können eben nur Makroalgen essen, aber kein Plankton.  Essen können wir jedoch Tiere, die sich ohne Zufütterung lediglich von natürlichem Plankton ernähren, hierzu gehören beispielsweise Seegurken, Muscheln oder Quallen. Dort schlummern die effizientesten tierischen Eiweiße für die menschliche Ernährung, aber auch eine Fülle an gesundheitsfördernden Mikronährstoffen.

Inwiefern benötigen wir überhaupt alternative tierische Eiweißquellen? Es geht doch auch rein vegetarisch?

Ja klar, insgesamt müssen wir vor allem weniger konsumieren, nicht jedes Steak muss eins zu eins durch ein anderes Protein ersetzt werden. Überhaupt  brauchen wir nicht zwingend tierisches Protein aber eine vielfältigere Ernährung ist dann umso wichtiger. Auch Milcheiweiße spielen dabei eine Rolle, deren Produktion wiederum ebenfalls nicht Nachhaltigkeitsidealen entspricht. Letztendlich geht es darum alternativen zu schaffen um sich vielseitig mit essenzielle Aminosäuren versorgen zu können. Ob ein/e Vegetarier:in dann auch im Sinne der Nachhaltigkeit eine Beimischung von Quallen akzeptiert, ist eine andere Diskussion.  

Bestehen Vorbehalte gegenüber Quallen als Nahrungsmittel ähnlich wie bei Insekten?

Ich bin kein Sozialwissenschaftler aber das Projekt GoJelly macht auch Studien dazu, wie Menschen auf Quallen reagieren. Meine Erfahrung ist: Leute würden eher Quallen als Insekten essen, da es für viele eine eher undefinierbare Masse ist. Allerdings werden auch verarbeitete Insekten bisher immer noch nicht in großen Mengen konsumiert und sind weiterhin nur als Nischenprodukt erhältlich, trotz guter Nachhaltigkeitswerte. Wir versuchen jedenfalls die Neugier zu wecken und die Lust es auszuprobieren. Es gibt bei derartig neuen Lebensmitteln außerdem Bedenken bei Konsumenten bezüglich Verunreinigungen im Meer z.B. mit Plastik. Allerdings gilt das genauso für bereits bestehende Optionen. Neues wird eben oft grundsätzlicher in Frage gestellt.

Wären denn große Mengen problemlos und nachhaltig verfügbar, wenn es ein Erfolg würde?

Wir untersuchen zunächst die landbasierte Kultur von verschiedenen Quallenarten. Hierbei hat sich die Mangrovenqualle als idealer Kandidat entpuppt. Diese Quallen leben am Boden und gehen eine sehr enge Symbiose mit Mikroalgen ein. Durch diese Symbiose können die Quallen Sonnenlicht nutzen, um eine Biomasse aufzubauen, die reich an tiereichen Proteinen ist. Bei optimalen Lichtverhältnissen und mit etwas Plankton als Futter, wachsen diese Quallen sehr schnell in unseren Aquakultursystemen. Bei dieser Art sehe ich großes Potential für eine land-basierte Zucht. Natürliche Massenvorkommen von verschiedenen Quallen sind natürlich auch interessant, allerdings lassen sich solche Ereignisse nicht zuverlässig vorhersagen. Die Bestände müssen noch sehr viel genauer erforscht werden, auch wie sich eine intensivere Befischung auswirkt.

Welche Rolle spielt Genuss?

Uns geht es um die effiziente Produktion von Biomasse. Gelingt das, schauen wir wie sich daraus Lebensmittel produzieren lassen. Das kann aber z.B. als Pulver erfolgen dabei ist der Geschmack und die Textur weniger relevant. Genuss ist aber auch für uns ein sehr spannendes Thema um ein Gefühl für die grundsätzliche Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber Quallen als Nahrungsmittel zu bekommen. Ich denke Quallen zu essen ist hier zu Lande mit so einer Absurdität verbunden, dass das „Scary-food“ -Konzept als Einstieg funktionieren könnte. Hierbei würde es dann um Genuss im Sinne einer Mutprobe gehen. 

Dabei spielen die Verpackung und Storytelling eine wichtige Rolle, für uns bei MILK. ein wichtiger Aspekt.

Ja genau, es ließe sich z.B. ein Video drehen, wie die Ernährung der Zukunft mit Quallen konkret aussehen könnte. Noch denken viele an irgendein Glibberzeug aber das sind Vorurteile und entspricht nicht dem wie Quallen wirklich auf den Tisch kommen könnten.

Zur Story gehören auch Nachhaltigkeitsaspekte. Wie könnte der Handel dazu beitragen, dass die Meere nachhaltiger und effizienter genutzt werden?

Man müsste deutlich machen welche Rolle wir in der Nahrungskette haben und an Konsumenten appellieren sich damit zu beschäftigen und Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört sich bewusst zu machen welche Funktion wir in der Nahrungskette haben. Denn was wir essen hat Auswirkungen auf das Ökosystem. Quoten und Saisons müssten daher mehr berücksichtigt werden. Ganz generell kann man sagen, je weiter unten wir uns in der Nahrungskette einordnen, desto nachhaltiger ernähren wir uns – das heißt, besser kleine als große Fische essen und im besten Falle viel Muscheln, Algen und auch mal eine Qualle verzehren. Aquakultur ist übrigens keine pauschale Lösung und weder besser noch schlechter. Auch hier gilt es genau hinzuschauen, denn diese wirkt sich ebenfalls auf das Ökosystem aus. Das Thema ist komplex und es gilt sich genau zu informieren, wie produziert wird, also z.B. welche Futtermittel eingesetzt werden.

Das wäre eine Chance für den Handel, Nachhaltigkeit aktiver zu vermarkten z.B. mit Quotenfischstäbchen, die immer das beinhalten, was nach diesen Überlegungen gegessen werden sollte.

Genau, aber natürlich mit Quallen.

Danke für das spannende Gespräch, wir würden uns freuen schon bald über Verpackung und Verkauf von Quallen nachdenken zu können!

Dr. Holger Kühnhold -  Quallen-Experte
Holger Kühnhold

Im Rahmen des Gesprächs haben wir auch überlegt wie das MILK. Food Lab dazu beitragen könnte Quallen kulinarisch zu verarbeiten. Daraus ist eine Kooperation entstanden, für die wir erstmals Mangrovenquallen aus dem ZMT verarbeiten durften. Mehr dazu lest ihr hier.