Mit unseren Tagebucheinträgen aus der Zukunft wollen wir konkrete Bilder im Kopf erzeugen. Unsere Annahmen basieren auf unserem Future Food Trend Radar. Darin zeigen wir die aktuell wichtigsten Trends in den Bereichen Food, Packaging, Kitchen und Production aus unserer Sicht auf. Hier findet Ihr jede Menge Inspiration für die Welt der Lebensmittel von heute, morgen und übermorgen.
24. Juni 2040.
Ein Gastbeitrag von Daniel Anthes
Dienstagmorgen, der 24. Juni 2040. Du wachst auf und hast direkt den feinen Duft von frisch gebrühtem Kaffee in der Nase. Normalerweise trinkst du ja Tee, doch heute steht ein wichtiger Vortrag an, und bei großen Auftritten machst du immer mal wieder eine Ausnahme. Das weiß natürlich auch deine Küche, die in Echtzeit mit deinem Google Kalender vernetzt als Erstes von dem großen Tag erfuhr.
Der Porridge dazu kommt aus dem 3D-Drucker, der dank deiner Smart Watch über deine aktuellen Vital-Daten verfügt und diese mit einer ernährungsphysiologisch optimierten Rezeptur verknüpft und den Hafergenuss auch zum Gesundheitsbooster werden lässt. Klar, dass du die dafür notwendigen Grundrohstoffe wie Haferflocken, Nüsse, Trockenobst & Co. bereits entsprechend für den 3D-Drucker verarbeitet wöchentlich in Form einer Abo-Box nach Hause geliefert bekommst. Doch du bekommst davon nicht so viel mit, denn schließlich läuft alles – Technologie sei Dank – autonom ab.
Wenn du wolltest, könntest du jedoch alle möglichen Informationen per Smartphone oder Tablet zu der Herkunft, Verarbeitung, Qualität, Zertifizierungen und Verpackung der Lebensmittel bekommen, denn diese sind völlig transparent auf einer unabhängigen Blockchain hinterlegt und werden kontinuierlich von Dritten überprüft. Genau deshalb gehören Lebensmittelskandale schon länger der Vergangenheit an, denn sowohl Erzeuger:innen wie auch Händler:innen und alle anderen in der Food-Branche tätigen Unternehmen mussten sich der Evolution der Konsument:innen hin zu Prosument:innen und dem damit einhergehenden Transparenzbedürfnis beugen und fortan authentischer und ehrlicher kommunizieren. Und wer nicht auf Nachhaltigkeit, Fairness und Tierwohl setzte, verschwand innerhalb kurzer Zeit vom Markt. Die Food-Industrie hat sich deshalb auch insgesamt ordentlich politisiert und Essen vom reinen Lifestyle-Thema zum Politikum werden lassen: Ökologische und soziale Themen schwingen immer häufiger beim Bissen oder Schluck mit, ohne dabei Genuss zu kurz kommen zu lassen. Die Ära der hedonistischen Nachhaltigkeit und ethischen Ästhet:innen hat längst begonnen.
Genau deshalb hast du dich auch noch vor deinem Vortrag nach Ankunft am Zielbahnhof der Event-Location zum Business-Lunch mit einem alten Kumpel verabredet. Ihr wollt ein neues Vertical-Farming-Bistro auschecken, in welchem mensch den Zutaten für die Salad Bowl beim Wachsen zuschauen kann. Denn hier werden Salat, Kräuter und einige Gemüsesorten in Vertical-Farming- und Aquaponik-Anlagen direkt hinter der Theke sowie im Dachgeschoss im Bistro angebaut. Bei der Beilage entscheidest du dich heute nicht für den (echten) Barsch, sondern den Thunfisch-Ersatz auf Sojabasis. Immerhin kommt das Soja, der zentrale Rohstoff, aus der Region, gerade mal rund 60 Kilometer entfernt. Denn nach dem Plant-Based-Food-Boom vor einigen Jahren und diversen Skandalen um Monokulturen in China und Lateinamerika wurden die Stimmen nach regionaler Erzeugung der pflanzlichen Rohstoffe immer lauter und heimische Lebensmittelhersteller reagierten mit neuen Partnerschaften mit regionalen Erzeuger:innen. Immerhin eine eher positive Folge des Klimawandels und wärmerer Temperaturen in Deutschland.
Gesättigt und gestärkt geht es für dich zur Event-Location, wo du wenige Momente später deinen Vortrag über die Bühne bringst. Kurz vor der Zugrückfahrt gehst du noch eben im vollautomatisierten Minimarkt neben dem Bahnhof ein Getränk und Snack einkaufen. Wobei „Einkaufen“ bedeutet, dass du einfach in den Laden gehst, dir einen Smoothie und Energie-Riegel einsteckst und direkt zum Gleis läufst; dein Handy und die Sensoren im Minimarkt haben die Bezahlung ganz ohne deine Aufmerksamkeit geregelt. Während der Zugfahrt stehen noch ein paar E-Mails auf der To-Do-Liste, zu welchen du dir einen doppelten Espresso auf Getreidebasis aus dem Board-Bistro gönnst. Daheim angekommen geht’s kurz nachhause, um deine wöchentliche Gemüsebox der lokalen SoLaWi aus der hausblockeigenen Paket-Station zu holen und eben in die Wohnung zu bringen und zu verstauen.
Zum Dinner triffst du dich mit deiner/m Partner:in anlässlich eures Jahrestags in einem Sterne-Restaurant zum Feiern. Bei den ersten beiden kleinen Grüßen aus der Küche gab es einen kurzen technologiegestützten Rückblick auf die Anfänge eurer Beziehung. Mittels VR-Brillen wurde nämlich das kulinarische Erlebnis nochmal emotional aufgeladen und so intensiviert. Wie? Über die VR-Brille saht ihr Fotos und Videos eurer ersten Dates und Urlaube, u.a. der Toskana-Trip von vor einundeinhalb Jahren. Daneben halfen Geruchssensoren an der Brille euch über Düfte nach Montepulciano zu versetzen und der Gruß aus der Küche interpretierte die Trüffel-Lasagne von damals neu. Die folgenden Gänge des Menüs waren zwar weniger individuell, aber nicht minder aufregend. Auch fand der Rest komplett analog und ohne Technologie statt, aber wer braucht schon eine VR-Brille, wenn er am Chef’s Table sitzt?
Frankfurt am Main, 24. Juni 2040
Daniel Anthes, Jahrgang 1986 und diplomierter Wirtschaftsgeograph, Betriebswirt und Publizist, beschäftigt sich insbesondere mit den Themen Gesellschaftlicher Wandel, Ernährung & Esskultur und Nachhaltigkeit. Der passionierte Speaker und Autor walked dabei regelmäßig den talk und trägt als Vereinsvorstand sowie Foodpreneuer auch ganz praktisch zu einer nachhaltigen Transformation der Food-Branche bei. Er arbeitet zudem als Senior Associate für das namhafte Zukunftsinstitut.
Hier geht es zu Daniel´s Website: www.danielanthes.com